Ausstellung im Rathaus
Die Feuerwehr Marburg hat sich auf Spurensuche begeben und ist in die Vergangenheit eingetaucht. Spannendes ist dabei zutage gefördert worden, besonders über ein Kapitel der Marburger Feuerwehr, das bis jetzt im Dunkeln lag. Ihre Ergebnisse präsentieren die ehrenamtlichen Brandschützer ab Dienstag, 9. November, in der Ausstellung „Als die Feuerwehrautos tannengrün wurden: Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit“.
Die Freiwillige Feuerwehr Marburg blickt auf eine lange Geschichte zurück: 1861 als bürgerlich-mittelständischer Verein gegründet, diente die Feuerwehr anfangs in erster Linie dem Brandschutz. Das änderte sich jedoch schnell: Die Kameradschaft unter den Feuerwehrmänner, egal welcher Herkunft, gewann zunehmend an Bedeutung und nahm lange Zeit einen hohen Stellenwert ein. Bis die Nazis kamen – denn zu den Verbänden, die im „Dritten Reich“ gleichgeschaltet wurden, zählte auch die Feuerwehr. Nach der sogenannten Machtergreifung durch die Nationalsozialisten bestand die Freiwilligkeit nur noch auf dem Papier. Per Gesetz zum Hilfstrupp der Polizei degradiert, änderte die Feuerwehr innerhalb weniger Jahre ihre Struktur sowie ihr Erscheinungsbild. Auch die Marburger Feuerwehr beugte sich dem totalitären NS-Regime. Welche Auswirkungen die nationalsozialistische Herrschaft auf die Brandschützer hatte, das haben Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Marburg im Rahmen des Projekts „Das Dritte Reich und wir“ erarbeitet. Unterstützt wurden die Ehrenamtlichen bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte durch die Justus-Liebig-Universität Gießen, den Deutschen Feuerwehrverband und das Deutschen Feuerwehr-Museum Fulda. Gefördert wurde das Projekt maßgeblich durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.
In mehreren Workshops erlernten die Marburger Feuerwehrleute das Handwerkszeug, um eigenständig die Geschichte ihrer Wehr vom Staub der Vergangenheit zu befreien. Sie wurden zu eigenen Recherchen angehalten und immer in die wissenschaftlichen Arbeiten einbezogen. Und tatsächlich konnten durch ausdauernde Forschung neue Erkenntnisse zur Geschichte der Marburger Feuerwehr während des Nationalsozialismus an die Oberfläche gebracht werden. Die Vergangenheit ließ sich Stück für Stück rekonstruieren. Was dabei ans Licht kam und was der Synagogenbrandprozess damit zu tun hat, das gibt es in der Ausstellung im Rathaus zu sehen und zu hören.
Text: Viktoria Brüske, i. A. d. Stadt Marburg
Weitere Informationen unter: https://dasdrittereichundwir.de/marburg
Pressemitteilung der Universitätsstadt Marburg
Nr. 311 / 10. November 2021
Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit
Der eigenen Vergangenheit auf der Spur
Marburg. „Retten – Löschen – Bergen – Schützen“: Das sind die vier Hauptaufgaben der Feuerwehr. In Marburg kommt jetzt noch „Recherchieren“ hinzu, denn Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr haben sich auf Spurensuche begeben. Spannendes ist dabei ans Licht gekommen. Das Ergebnis präsentieren die Brandschützer*innen in der Ausstellung „Als die Feuerwehrautos tannengrün wurden – Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit“.
„Es ist eine Ausstellung, die mit alten Fotografien und Ausrüstungsgegenständen begeistert. Gleichzeitig macht sie aber auch betroffen, denn sie wirft die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung in eine Zeit zurück, in der das nationalsozialistische Terror-Regime über alles herrschte – selbst über die Feuerwehr“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies anlässlich der Ausstellungseröffnung im Rathaus. „Doch es ist wichtig, sich dieser Vergangenheit zu stellen und sie aufzuarbeiten. Daher bin ich sehr stolz und dankbar, dass sich die Marburger Feuerwehr dieser Aufgabe aus eigenem Antrieb heraus angenommen hat“, so der OB weiter.
Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies (hinten rechts) eröffnete die Ausstellung der Marburger Feuerwehr gemeinsam mit (v. l.) Carmen Werner, Norbert Fischer, Andreas Brauer (hinten), Rolf Schamberger, Karl-Heinz Merle (ehemaliger Stadtbrandinspektor), Andreas Rumpf (Feuerwehr Marburg) und Dr. Clemens Tangerding.
Mit der Ausstellung „Als die Feuerwehrautos tannengrün wurden – Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit“ stellt die Marburger Feuerwehr ihre Recherche-Ergebnisse vor und macht ein Stück Stadtgeschichte erfahrbar. „Wir möchten damit nicht nur den Umgang mit einer durchaus schwierigen Geschichte finden, sondern vor dem Hintergrund des eigenen historischen Beispiels warnen“, sagte Andreas Brauer, stellvertretender Leiter der Feuerwehr Marburg. Dieses Ansinnen haben auch die Zettelkästen im Garten des Gedenkens, die die Feuerwehrleute mit Zitaten von damals und heute bestückten. So war 1938 zum Beispiel auch ein Feuerwehrmann, der in der SA war, aktiv daran beteiligt, die Synagoge in Brand zu stecken. Die Tat, die sich in der Nacht auf den 10. November 1938 ereignete, wurde erst nach dem Krieg rekonstruiert und die Täter zu Freiheitsstrafen verurteilt. Dieser Prozess stellt damit eine wichtige Quelle für die Geschichte der Freiwilligen Feuerwehr Marburg dar.
Die Ausstellung „Als die Feuerwehrautos tannengrün wurden – Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit“ ist in verschiedene Themenbereiche gegliedert und noch bis Sonntag, 14. November, täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet.
„Zitate aus dem Synagogenbrandprozess sollen den Geist der Zeit anschaulich machen und stehen im krassen Kontrast zu dem demokratischen und freiheitlichen Selbstverständnis der heutigen Freiwilligen Feuerwehr Marburg“, erklärte Carmen Werner, Leiterin der Marburger Feuerwehr, den Zusammenhang von Ausstellung und Synagogenbrand. Der Brand der Marburger Synagoge nehme in der Ausstellung eine zentrale Rolle ein, so wie in der Geschichte die Reichspogromnacht den Anfang des Terrors markierte, der daraufhin folgen sollte.
Welche Rolle die Gleichschaltung der Feuerwehr ganz konkret in der Universitätsstadt spielte, war bislang nur wenig erforscht. Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Marburg, die sich im Rahmen des Projekts „Das Dritte Reich und wir“ auf Spurensuche begeben, wurden dabei durch die Justus-Liebig-Universität Gießen unterstützt, außerdem durch den Deutschen Feuerwehrverband und das Deutsche Feuerwehr-Museum Fulda. Gefördert wurde das Projekt maßgeblich durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.
In mehreren Workshops erlangten die engagierten Feuerwehrkräfte das Handwerkszeug, um eigenständig die Geschichte ihrer Wehr vom Staub der Vergangenheit zu befreien. Sie wurden aktiv forschend in die Recherchen einbezogen. „Ziel des Projekts war: Nicht von oben herab sollte die Geschichte erklärt, sondern aus dem Kreis der Feuerwehrleute heraus erarbeitet und präsentiert werden“, betonte Projektmitarbeiter Dr. Clemens Tangerding von der Justus-Liebig-Universität.
Und tatsächlich konnten die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Marburg durch ausdauernde Forschung neue Erkenntnisse zur Geschichte ihrer Wehr während des Nationalsozialismus an die Oberfläche bringen. „Durch Archivrecherchen sowie anhand von Fotografien und Objekten ließ sich die Vergangenheit Stück für Stück rekonstruieren“, freut sich der Historiker Tangerding über das Ergebnis. „Allerdings ist es eine Vergangenheit, in der die Freiwillige Feuerwehr nach und nach ihre Freiwilligkeit verlor“, erklärte Tangerding weiter. Per Gesetz fügte sich die Marburger Wehr dem totalitären System und schloss „nicht-arische“ Mitglieder aus – so auch den jüdischen Kaufmann Elias Goldschmidt. Sein Schicksal wird in einer Teilausstellung im Schaufenster am Marburger Steinweg 3 ½ gezeigt. Dort hatte Goldschmidt Anfang des 20. Jahrhunderts sein Wohn- und Geschäftshaus, das er jedoch nach der sogenannten Machtergreifung unter Wert verkaufen musste. Die Präsentation über Elias Goldschmidt findet sich auch in der Ausstellung im Rathaus wieder. „Die Ausstellung ist eine bewusste Einladung, sich mit diesen Inhalten und Themen näher auseinanderzusetzen, denn wir wollen aus unseren Fehlern lernen und nicht vergessen“, sagte Rolf Schamberger, Leiter des Deutschen Feuerwehr-Museums Fulda. Die Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität Gießen sei in dieser Sache sehr wichtig und zukunftsweisend für weitere Projekte gewesen, ergänzte der Vizepräsident des Landesfeuerwehrverbandes (LFV) Hessen, Norbert Fischer.
Die Ausstellung zeigt, dass die Freiwillige Feuerwehr Marburg auf eine lange Geschichte zurückblickt: 1861 als bürgerlich-mittelständischer Verein gegründet, war für die Vereinsmitglieder der Brandschutz in der Stadt das oberste Gebot. Doch schnell entwickelte der anfangs funktionale Zusammenschluss einiger Kaufleute und Handwerker eine eigene Dynamik: Ein Wir-Gefühl, Kameradschaft und Zusammenhalt gesellten sich zu dem Anspruch der Freiwilligen Feuerwehr Marburg, in Notsituationen Hilfe zu leisten. Alle, die sich dieser Gemeinschaft anschließen wollten, wurden mit offenen Armen empfangen.
„Mit der sogenannten Machtergreifung durch die Nationalsozialisten änderte sich für die Freiwillige Feuerwehr jedoch alles – von der Struktur bis zum Erscheinungsbild“, berichtete Carmen Werner.
Die Ausstellung „Als die Feuerwehrautos tannengrün wurden – Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit“ ist bis Sonntag, 14. November, täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Sie befindet sich in der Ausstellungshalle des Rathauses.
Eines der tannengrünen Feuerwehrautos der Marburger Feuerwehr aus der NS-Zeit.
Text: Viktoria Brüske, i. A. d. Stadt Marburg / Fotos: Stefanie Ingwersen, Stadt Marburg